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Aus der Presse - Disney: Die Show muss weitergehen
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JUK
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Aufsteiger Jens Uwe Kupka
Lensahn
Deutschland . SH
 
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Link zum Beitrag #32971 Verfasst am Donnerstag, 26. Februar 2004 22:00
Themenersteller
Relax
Zitat Die Zeit, 26. 02. 04

Die Show muss weitergehen

Euro Disney ist hoch verschuldet. Doch der Freizeitpark bei Paris ist so riesig, dass sich Frankreich eine Pleite gar nicht leisten kann

Von Michael Mönninger

Seit zwei Jahren wackelt in Marne-la-Vallée die Erde 20-mal am Tag. Es ist das simulierte Erdbeben während der „Studio Tram Tour“, bei der die Besucher durch die explodierende Filmkulisse des „Catastrophe Canyon“ fahren. Mehr als 600 Millionen Euro hat Euro Disney, die französische Tochtergesellschaft des US-Konzerns, in den neuen „Film Studio Park“ investiert. Es ist der zweite Erlebnispark bei Paris.

Doch die bei der Eröffnung im Jahr 2002 erwarteten Besucherzahlen hat der Park nie erreicht. Statt vier sind es nur zwei Millionen, während gleichzeitig der erste und ältere Themenpark unter einem Besucherschwund in ebendieser Höhe leidet. So verwundert es nicht, dass inzwischen auch die Wände im Management wackeln. Die Geschäftszahlen von Euro Disney gleichen Nachrichten aus dem Katastrophental.

Um mehr als 90 Prozent ist der Aktienkurs unter den Ausgabewert gefallen, der Nettoverlust stieg im vergangenen Geschäftsjahr von 33,1 Millionen auf 56 Millionen Euro. Seit Jahren muss die französische Tochter beim US-Mutterhaus darum betteln, dass Kreditlinien erhöht und Lizenzgebühren gestundet werden. Auch der zweitgrößte Einzelaktionär, der saudische Prinz al-Walid, drängt auf radikale Sanierung. Und wenn das mit 2,2 Milliarden Euro verschuldete Unternehmen bis Ende März nicht sagt, wie es die nächsten Kredite zurückzahlt, werden die Gläubigerbanken ungemütlich.

Zwölf Millionen Besucher im Jahr

Ohne die Expansion befände sich das zehn Jahre alte europäische Disney-Märchenland nicht so dramatisch in der Schieflage. Nach schweren Anfangsjahren, in denen die Schließung drohte, ist Euro Disney mit zwölf Millionen Besuchern jährlich zum ersten Reiseziel Europas aufgestiegen und zählt mehr Gäste als Louvre und Eiffelturm zusammen.

„Eine Pleite?“ Dominique Coquet steht vor einem riesigen Tisch, auf dem das Stadtmodell des Val d’Europe aufgebaut ist, und schaut überhaupt nicht sorgenvoll aus. Der Planungsdirektor von Euro Disney erklärt mit dem Zeigestock seine Zukunftsstadt: eine Ringstraße mit drei Kilometer Durchmesser, in der Mitte die beiden Vergnügungsparks, außen herum ein 20 Quadratkilometer großes Entwicklungsgebiet – sieben Riesenhotels mit 7000 Betten, Golfplätze, künstliche Seen und dazu die heute schon bestehenden sechs Dörfer mit 12000 Bewohner, die bis zum Jahr 2020 für 40000 Menschen ausgebaut werden sollen.

„Eine Pleite ist bei keinem Unternehmen auszuschließen, das im freien Markt operiert“, räumt Dominique Coquet ein. „Aber wir denken lieber langfristig – und haben die öffentliche Hand als Partner.“ Dann widmet er sich wieder seiner Modelllandschaft und zeigt auf einen gläsernen Miniaturbahnhof mit städtischem Vorplatz, mit fünfgeschossigen Häuserblocks und gepflegten Grünanlagen. „Wir befinden uns gerade hier“, sagt er.

Hier, das ist die jüngst fertig gestellte Place d’Ariane, das neue Stadtzentrum des Val d’Europe östlich von Paris. Wer die jüngste Disney-Entwicklung sehen will, braucht nur eine Bahnstation vor der Haltestelle der Vergnügungsparks auszusteigen. Hier hat die kalifornische Traumfabrik richtige Häuser für echte Menschen errichten lassen, mit einer 1000 Meter langen Shopping-Mall, einem Factory Outlet Center für 70 Geschäfte, mit öffentlichen Schulen, Kindergärten, einer Dependance der Marne-Universität sowie mit zwei Bahnhöfen, an denen täglich 40 TGV-Züge aus ganz Europa halten.

Euro Disney ist kein Konzern mehr, sondern ein Kontinent, der – nur 35 Bahnminuten von Paris entfernt – das kompromisslos moderne, amerikanisierte Frankreich verkörpert. Innerhalb eines Jahrzehnts ist in einer Ackerlandschaft die anspruchsvollste ville nouvelle Frankreichs entstanden. Selbst wenn die Vergnügungsparks noch mehr in Not geraten, würden es Regierung und Banken verhindern, dass die Region Schaden nimmt. Umgeben von einem einzigartigen Cordon sanitaire aus öffentlichen Interessen, ist die Disney-Welt gegen den Untergang gefeit.

Als die Amerikaner Mitte der achtziger Jahre ihr Vergnügungsgeschäft um die Immobiliensparte erweiterten, konnten sie damit rechnen, dass ihr Wagnis nicht größer war als das der damaligen Staatsregierung von François Mitterrand. Gegen die scharfe Konkurrenz zahlreicher Nachbarstaaten wollten die Franzosen den ersten europäischen Disney-Ableger um jeden Preis. Trotz Künstlerprotesten gegen dieses „kulturelle Tschernobyl“ schloss die Regierung mit Disney 1987 einen öffentlich-privaten Partnerschaftsvertrag, der neben dem Parkgelände ein 30-jähriges Vorkaufsrecht für 20 Quadratkilometer Baugrund umfasste – öffentliche Investitionen für die Infrastruktur von 500 Millionen Euro inklusive.

„Am Anfang hatten alle große Angst“, erinnert sich Bürgermeister Jean-Paul Balcou. „Wir fühlten uns, als würden wir das Computerspiel Sim City im Maßstab eins zu eins spielen.“ Der kettenrauchende Bilderbuch-Franzose ist Chef des kommunalen Planungsverbandes, zu dem sich die fünf Dörfer vereint haben. Seine Amtsräume liegen in Sichtweite der Vergnügungsparks in einem historischen Jagdschlösschen, in dem man unwillkürlich an die Bruchsteinwände klopft, um zu prüfen, ob sie auch echt sind.

„Disney ist keine Supermacht, sondern wie jeder Projektentwickler den französischen Gesetzen unterworfen“, sagt Balcou. Seine 90 Verwaltungsbeamten prüfen Pläne und Verträge, sorgen für öffentliche Einrichtungen und freuen sich über den großen Zuzug. Vor Disney zählten die Gemeinden 5000 Einwohner, heute sind es 18000, denen fast genauso viele Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, davon 12000 direkt bei Disney. 80 Prozent der Neubürger sind jünger als 40, und die Geburtenrate liegt mit 3,2 Kindern pro Frau fast so hoch wie in Indien. Kummer bereitet dem Bürgermeister nur die Monostruktur: „85 Prozent unserer Steuereinnahmen kommen von Disney, die Park-Flaute macht uns Sorgen.“ Große Hoffnungen setzt er darauf, dass der Konzern neue Partner sucht. So soll bald der britische Entwickler Arlington auf 40 Hektar 660000 Quadratmeter Bürofläche errichten.

Teufelskreis der Abhängigkeiten

Bei der Fahrt auf dem Ringboulevard mit Zierbegrünung und hübschen Verkehrsinseln fallen immer wieder niedliche Neubausiedlungen auf, geplant nach den Regeln des amerikanischen new urbanism: gewundene Straßen, kleine Plätze, bunte Häuschen. Es ist eine Art Entenhausen mit Stil-Architektur, zwar mit größerer Sorgfalt gestaltet als normale Wohnwüsten, aber genauso flächenfressend und vom Auto abhängig.

Im Schaufenster der Immobilienagentur Century 21 an der Place d’Ariane hängen die Lockangebote: von schlichten Reihenhäusern für 250000 Euro bis zu viktorianischen Traumvillen für eine Million. Die Fertighäuser wurden erst vor wenigen Jahren vom Großentwickler Kaufman & Broad errichtet und sehen trotzdem alt und gediegen aus. Aber warum verkaufen viele ihre Domizile wieder? Makler Christoph Mallefond weiß die Antwort: „Das liegt an der hohen Scheidungsquote hier draußen.“

„Zur Halbzeit unseres 30-Jahres-Vertrages“, erklärt Disney-Planungschef Dominique Coquet, „haben wir fast die Hälfte des Gesamtprojektes realisiert oder planungsreif gemacht.“ Bauherr und Eigentümer ist der Unterhaltungskonzern allerdings nur bei seinen Parks und den Großhotels. Andere Projekte begleitet er als Planer und vermittelt den späteren Verkauf an Investoren. Die Regierung ist mit Disney sehr zufrieden. Dass das Projekt ein gigantisches Zuschussprojekt ist, das neben der halben Milliarde für Infrastruktur auch noch Kreditnachlässe der staatlichen Gläubigerbank Caisse des Dépôts verlangt, lässt Hervé Dupont ungerührt. „Jeder Euro öffentliches Geld hat mehr als sieben Euro Privatinvestitionen gebracht“, sagt er. Dupont ist Abteilungsleiter für Großprojekte im Bauministerium. Von seinem Büro in der Grande Arche von La Défense blickt er auf die Wohntürme von Nanterre und rühmt einen weiteren Erfolg: „Wir haben mit Disney die furchtbare Provokationsarchitektur unserer Neustädte aus den siebziger Jahren überwunden.“

Disneys System besteht aus einer geschickten Integrationslogik, bei der jede Investition die nächste nach sich zieht – man könnte es auch Teufelskreis nennen. Weil die Parks von den Besuchern aus der Region nicht leben könnten, brauchen sie Ferntouristen. Damit die länger als einen Tag bleiben, müssen neben den Parks (Tagesticket 49 Euro) auch die großen Themenhotels selbst zu Erlebniszentren werden. So reicht das Angebot vom billigen Cheyenne-Hotel mit rustikalem Wild-West-Ambiente bis zum mondänen Kolonialpalast des Newport Bay Club mit Segelschule. Schon jeder zweite Parkbesucher logiert in den Disney-Hotels, deren Auslastungsquote von 88 Prozent enorm ist. Und die neuen Dörfer, eigentlich Werksiedlungen von Disney, benötigen Einkaufszentren und Freizeitangebote, sodass es längst ein Disney-Village mit Großkinos und bald auch Konferenzzentrum gibt.

Deshalb können die Manager von Euro Disney sicher sein – auch wenn der Katastrophen-Canyon im Studiopark täglich um 17 Uhr vor halb leeren Besucherwaggons bebt. Die fünf Milliarden Euro, die der Disney-Konzern ins Marne-Tal investiert hat, werden bei allen Erschütterungen nicht wieder vom Erdboden verschwinden.

(c) DIE ZEIT 26.02.2004 Nr.10
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